Nachtraege/Aktuelles aus Brasil

26 06 2011

Sodele, ein paar Nachtraege:

In Sao Jose dos Campos bei Pri gabs mal noch Quentao, so was wie Gluehwein, nur mit Cachaca und weiteren Zutaten. In unserem Fall war das 1 Liter Cachaca fuer 3 Leute. Das Ganze wird warm getrunken. Neben Gluehwein typisches Getraenk fuer die Zeit im Juni, in dem in Brasil verschiedene religioese Feste zu Ehren irgendwelcher Heiliger stattfinden. (Der heilige Sankt Florian ist meines Wissens nicht dabei…). Pri hatte ganz viel Spass an ihrer kleinen, luschtigen Kaffeemaschine, in die man so Blechbehaelter reinstellt und unten Kaffeespezialitaeten rauslaufen. In den Hostals mit geschlechtergetrennten Zimmern des internationalen Jugendherbergsverbands werden an der Rezeption gratis Kondome bereitgestellt. Valentinstag ist in Brasilien irgendwann im Juni.

In Sao Paulo haben gerade die Arbeiten fuer ein neues Fussballstadion fuer die WM 2014 begonnen. Im Amazonasgebiet in Manaus soll auch eins gebaut werden. Bezahlt von der dortigen Regierung. Manaus ist Fussballbrachland und bei den Spielen im bestehenden Stadion sind in der letzten Saison vierhundertirgendwas Zuschauer im Schnitt zu den Spielen gekommen. Die ueberwiegende Mehrheit der Brasileiros (zumindest laut Freunden aus Sao Paulo) wollte die WM im Land gar nicht. Vor ein paar Tagen kamen Berichte, dass sie die Favelas (Armenviertel) ums Maracana-Stadion in Rio de Janeiro „gesaeubert“ haben, die Drogendealer vertrieben haben. Eingesetzt wird von den Bope (Sondereinheit fuer die ganz harten Sachen, siehe auch Filme Tropa de Elite Teil 1 und 2) in Rio uebrigens „Material“, was andere Laender fuer ihre Armeen haben, Waffen, Panzer, Hubschrauber…Favela gesaeubert: auf dem Berg von den Bope-Leuten Flagge von Rio und Brasil gehisst. Erledigt! Uebrigens gibt es in Rio einen sog. Complexo do Alemao (Komplex des Deutschen), das ist ein Gebiet mit 13 zusammen gewachsenen Favelas, die anscheinend mit zu den gewaltsamsten Favelas Rio´s gehoeren.

In den Favelas von Rio ist o alemao (der Deutsche) eine Art Schimpfwort fuer einen Feind (Person oder befeindete, im Drogengeschaeft rivalisierende Gruppe eines anderen „Huegels“ (=andere Favela)), wie man uns erklaert hat, als wir den Film „Tropa de Elite“ gekuckt haben. Anscheinend wandelt sich die Bedeutung etwas dahingehend, was genau gemeint ist. Es koennte also sein:

-eine befeindete Gruppe eines anderen Berges („morro“)

-Elitepolizist der Policia Militar

-oder heutzutage anscheinend jede Art von Feind im Drogengeschaeft

Gibts in einem (normalen) Freundeskreis einen deutsch aussehenden oder gar deutsch staemmigen, wird er auch gerne o alemao (der Deutsche) genannt. Aber nicht als Beleidigung.

Im Moment sind wir im Touriort Paraty, schon in der Naehe von Rio de Janeiro. Davor waren wir in Penedo, Bundesstaat Rio, aber in der Naehe Bundesstaat von Sao Paulo. Dort haben wir uns ein Appartement mit Kueche gegoennt. Ueber uns war ein Paar und die hatten wohl so ein Whirlpool-Teil. Eines Nachmittags Tropfte Wasser von der Decke. Zum Glueck waren wir gerade da und so haben wir der Tante Bescheid gegeben und sie hat in der „Suite“ oben nachgekuckt. Jetzt war das so, dass die beiden eingeschlafen waren, als sie das Badewasse angestellt hatten. Alles stand dann 10 cm unter Wasser und die beiden dachten sich, die unauffaelligste Variante waere, einfach nix zu sagen. Das Wasser wird bis zum naechsten Tag schon verdunsten, oder die naechste Putzkraft muss sich dann morgens drum kuemmern.

Bier trinken die Brasilianer noch kaelter als die Suedeuropaer, gestern war in der Kneipe (Copa Libertadores Finale kucken, Santos aus Brasil zum ersten mal Titel geholt, gegen Penarol aus Uruguay) minus 4 Grad eingestellt. Optimale Trinktemperatur eines neulich zu mir genommenen Bieres laut Aufdruck auf der Flasche 2-4 Grad plus.

Apropos dieses Bier: Im arschkalten Campos do Jordao, wo die Brasilianer Urlaub machen im Winter, waren wir neulich, da anstrengende Anreise, abends im preiswerten Restaurant unter dem Hostal. Dort souveraen eine Truta (Forelle, typisch fuer die Berge hier) und ein Eisenbahn-Bier, Typ Koelsch, bestellt. Der Kellner bringt ein Eisenbahn Typ Dunkel und fragt netterweise noch, ob das i.O. ist. Nein sag ich, meine Truta soll ja nicht in einer suessen Malzbruehe schwimmen. „Koelsch gibt es nicht.“ Dann bring mir halt ein blondes Fassbier. Kurz spaeter kommt er mit einem Baden-Baden (eine der deutsch-bras. Brauereien) Flaschenbier an, Nullsechs Liter. Was laut Karte statt 6 (Eisenbahn) stolze 11 Reais kosten soll. Er verkauft mir das als mein Blondes und verheimlicht den teureren Preis, ueber den ich mich aber vorher bei der sorgfaeltigen Getraenkewahl zum Glueck informiert hatte. Schoen und gut, aber abgelehnt, weil ich will ja nicht fast das doppelte zahlen, er solle es also wieder mit nehmen. Vielleicht wegen der aufgrund in einer mir nur begrenzt bekannten Sprache stattfindenden Diskussion entnahm mir der Moço (Kellner) eventuell einen leicht angestrengt-verzerrt-angespannten Gesichtsausdruck. Vielleicht war es aber auch wirklich ausgestrahlter Aerger, weil der Brasileiro tatsaechlich ausgerechnet einem Deutschen ein Dunkles fuer ein Koelsch und dann noch ein teures fuer ein billiges Bier andrehen wollte. Oder hat er wegen meinem nach ca. 2 Monaten Brasil quasi akzentfreien portugiesisch (Achtung, Party-Gag) am Ende gar nicht gemerkt, dass ich kein Brasileiro bin?

Jedenfalls hat er mir das teure Baden-Baden dann zum billigen Preis da gelassen, „damit ich mich nicht so aufrege“. Sauber, sogar auf der spaeter ausgestellten Rechnung hielt der Moço Wort.

In Campos do Jordao wird auch das Baden Baden gebraut und es gibt im Touristadtteil Vila Capivari ein Restaurant von der Brauerei. Deutsche Gerichte, was aber schweineteuer war. Ausserdem natuerlich das Baden Baden Bier, auch schweineteuer, deswegen haben wir zusammen die dortige Roestiversion probiert. Die waren in einer Backform offensichtlich im Backofen ueberbacken worden. Auch nicht ganz schweizerisch, aber auf jeden Fall besser als die Variante in Blumenau. Auszug aus den Bierpreisen, bitte vor dem Lesen auf eine sichere Sitzflaeche sitzen, nicht stehen…!

Normales Choppbier (Fassbier):

-150 ml inkl. des Glases 8 Reais

-230 ml ohne Glas 9 R.

-330 ml inkl. Krug 15-18 R. (verschiedene Sorten)

Verschiedene Biersorten aus der Nullachtfuffzehn nullsechs Liter Flasche aus dem Supermarkt 18-21 R.

Cervejas Sazonais (saisonale Biere) auch in nullsechs Liter:

-Christmas 20R.

-Celebration de inverno (inverno heisst Winter) 21 R.

-Baden Tripel, Warnung: bitte nochmal Sitz ueberpruefen, festhalten, Menschen mit schwachem Herz und/oder Nerven sofort Computer abschalten, nie mehr anmachen und bei der naechsten Muellabfuhr hinstellen: 118 Reais

Die Empfehlung der erlesenen Karte war beim Stout Dark Ale uebrigens, dieses Bier als Begleiter zu Schokolade zu „geniessen“.

Bei fast jedem Supermarktbesuch lande ich ja wie von Geisterhand haeufig am Bierregal und so war mir schon vor Wochen aufgefallen, dass so ein Nullsechser Bier guter Braukunst dort sogar schonmal schnell ueber 10 Reais kosten kann. Wie ich weiss sind in Brasilien die Steuern auf gewisse Gueter unwahrscheinlich hoch. Vielleicht koennte das ein Grund sein. Verschiedene Brasilianer habe ich dazu schon interviewt, aber die Antwort war noch nicht ganz ueberzeugend. Verschiedene moegliche Gruende wurden nach und nach angefuehrt:

1.) Hoehere Produktionskosten bzw. auch einfach kleinere Verkaufs-Mengen und dadurch teurer herzustellen. Glaubte ich nicht, das rechtfertigt keinen zigfachen Preis verglichen mit gewoehnlicher Pils- oder Exportploerre. Also…

2.)…die verdammt hoehen Steuern in Verbindung mit..

3.)…dass die Kultur der Regierung einfach nicht aufwendiger gebrautes Bier untertuetzt.

Zumindest muesste dann tatsaechlich bei der Besteuerung ein Unterschied zwischen normalem und besserem Bier gemacht werden. Dass muss nochmal nachrecherchiert werden.

Aufwendig gebrautes Bier heisst in Brasil sowie auch in den spanisch sprachigen Laendern uebrigens Cerveja (Cerveza) artesanal (was im Portugiesischen nur anders gesprochen wird als im Spanischen), was soviel heisst wie Kunstbier oder kuenstlerisches Bier.

Hier in Paraty waren wir vor ein paar Tagen abends im Staedtle eine Gelegenheit gesucht, um das Finale der Copa Libertadores zu kucken. Die bekannteste Biertrinkkneipe mit Fernseher war voll oder die freien Plaetze boten keine Sicht auf die Glotze. Also die Altstadt entlang gestrollt und eine nett scheinende Kneipe mit Glotze entdeckt. Ein Tischle mit Haupttribuene Mitte-Sicht ergattert und die Karte studiert. Diese glaenzte mit stolzen Bierpreisen und wir hatten natuerlich nicht Geld fuer einen Abzockerschuppen eingeplant. Also die Pfuetze mit dem geringsten finanziellen Opfer gewaehlt und beim Moço geordert. In der Folge machte sich auf einer kleinen Buehne eine 2-Mann-Band parat und auf eine der letzten Seite der Karte stellte sich heraus, dass frecherweise 8 Reais fuer das Aufspielen einer Band abgerechnet werden sollte. Also gut, den Moço nochmal her zitiert und erklaert, dass wir nix von Band bezahlen gewusst haben und auch gar nicht so viel Geld dabei hatten. Er redet mit dem Chef… Die Rueckmeldung hat er uns vorenthalten und war ausserdem am Nachbartisch mit Fleisch am Tisch Bruzeln beschaeftigt. Die kleine (da billigste) Kinder-Bierpfuetze war mittlerweile verdunstet und das Spiel der Halbzeit nahe. Kurz spaeter kam dann der aushelfende Cheffe persoehnlich vorbei, um nach dem Rechten zu kucken und anzufragen, ob ich gerne noch so ein Kinderbier haette. „Weiss nicht“ hab ich ihm gesagt, wusste ja nicht wie das Ganze ausgehen wuerde. Meine Begleiterin hat ihm nochmal die Sachlage erklaert und er meinte, er wuerde fuer die Band nix verlangen. (Anmerkung: Die Band wurde mittlerweile quasi von der Buehne geworfen und der Fernseher lauter geschaltet. Anscheinend hatten auch die anwesenden brasilianischen Gaeste eher Interesse am Fussballspiel als an einer Band, fuer die man auf der Rechnung mit einer zusaetzlichen Position ueberrascht wird.) Er wuerde also fuer die Band nix verlangen, allerdings koste es 8 Reais „Eintritt fuers Spiel“. Ja klar, wer`s glaubt. Nochmal die Sachlage verdeutlicht, dann doch ein Bier bestellt und bei Anlieferung hab ich mich nochmal beim Cheffe versichert, dass natuerlich auch nicht fuer den angeschalteten Fernseher extra bezahlt werden muss. Alles klar, zur Halbzeit sind wir trotzdem abgeduest, teuer wars ja sowieso. Haben dann an einer Plaza ein nettes Kneiple/Restaurant entdeckt, wo tatsaechlich die Bierpreise guenstig waren. Sofort auf die freien Barhocker am Tresen verholt und eine nullsechser, eiskalt gekuehlte Pulle Itaipava-Bier geordert. Santos hat gegen Penarol 2:1 gewonnen und nach dem 0:0 im Hinspiel zum ersten Mal in der Clubgeschichte die Taça (Pokal) abgesahnt. Ein Anwesender Santista (Santos-Fan) hat durchgedreht. So war der Fussballabend doch noch geglueckt.

Wegen meiner blonden Lockenpracht werde ich seit Monaten und speziell in Brasil mit dem Surfergruss gegruesst. Brasilien ist, wenn ich das in den Nachrichten neulich richtig verstanden habe, dritter beim Konsum von Kosmetikartikeln, hinter USA und Japan.

Adele aus Paraty: Winter hat kuerzlich angefangen, es hat entspannte, warme ca. 25 Grad, Sonne scheint jeden Tag.



Aktionen

Informationen