Sprechstunde bei 120 km/h
10 12 2011Sodele, da gibt ein aktuelles Erlebnis mal wieder Anlass fuer einen spontanen Artikel (der mittlerweile nicht mehr so spontan ist, da es mich ein paar Tage kostete in fertigzustellen):
Ich bin mittlerweile in Ancud, auf der Isla Grande de Chiloé, wo ich letztes Jahr schon gewesen war. Hier leb‘ ich mit der Familie, quasi wie ein Familienmitglied. Und so kam es, dass vor ein paar Tagen Lisa und Wilko anreisten, als wir gerade kurz vor dem Mittagessen fassen waren. Die beiden hatten ein Mietauto und wollten die gleiche Tour machen, die ich am Folgetag per Bus und Laufen vor hatte und ich fungierte als Uebersetzer fuer die Erklaerungen von Hospedaje-Besitzerin Mirta. Netterweise haben mich meine aus Aachen kommenden Landsleute dann gefragt, ob ich mitfahren moechte. Klar! Und so kam ich auf sehr bequeme und nebenher noch amuesante Art an ein paar Ecken der Insel, die ich sonst nicht erreicht haette. Die beiden sind sehr sympathische und luschtige Zeitgenossen, ausserdem sorgten die antiken Mann-Frau-Themen fuer die Wuerze und gute Unterhaltung waehrend der Fahrt.
Herausragend war dabei die von Lisa entwickelte Entscheidungsfindungstheorie: Jeder kennt ja das Phaenomaen, dass bei anstehender Entscheidung zwischen mehreren Optionen Mann und Frau nicht gleicher Meinung sind. Beispiel Abzweigung, faehrt man nach links oder rechts? Oft endet so was mit viel Aerger, die Frau ist graetig. Des Mannes Taktik kann daher sein, einzuschaetzen, was denn die Frau lieber moechte und stellt seine Meinung einfach darauf ein, dem Burgfrieden zuliebe. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen, und die bessere Haelfte behauptet, man(n) haette ja nur seine Meinung geaendert, damit Ruhe herrscht (stimmt ja auch!). Damit nun also so eine Situation nicht entsteht, hat die schlaue Lisa folgende Entscheidungsfindungsmethode entwickelt:
Steht eine Entscheidung an, sollten beide durch Prinzip „geheime Wahl“ ihren Vorschlag auf ein Papierle notieren. Mein Hinweis dazu war, dass aber, wenn die Methode funktionieren soll, noch nicht viel darueber diskutiert worden sein darf, weil der Mann ja dann schon die Meinung der Frau einschaetzen kann. Man gab mir recht.
Der viel wichtigere Haken an der Sache ist allerdings die Situation, die entsteht, wenn die Abstimmung 1:1 ausgeht… Hierzu gabs keinen Verbesserungsvorschlag.
Am anderen Tag erlebten wir jedoch etwas viel Beeindruckenderes:
Die beiden entschieden sich, einen Mann mit seinem artigen kleinen Jungen mitzunehmen, die den letzten Bus verpasst hatten, um nach Ancud zurueck zu kommen. (Sie waren nach Dalcahue gefahren, um dort die Lamm-Preise zu erfragen; Lamm ist das traditionelle Weihnachtsessen von Chiloé). Die obligatorische Unterhaltung war meine Aufgabe und der Mann fragte mich, welchen Beruf meine beiden Landsleute haetten. Ingenieur ist der Wilko und die Lisa ist Aerztin. Ohne mit der Wimper zu zucken fing der Chilote dann an, mir seine Geschichte zu erzaehlen: An seinem Oberarm hatte er einen blaeulichen Fleck und alle seine Landsleute-Aerzte konnten nicht feststellen, um was es sich dabei handelte. Es daemmerte schon und die Sicht auf des Chiloten Leiden war beschraenkt. Trotzdem nahm Lisa sofort ihre Arbeit auf (Handy-Zeitalter, in dem selbige Dinger ein eingebautes Licht haben, half, den Missstand zu ueberwinden), stellte routiniert ihre Fragen nach Symptomen, der Chilote zog seine Jacke aus und die Fachfrau brauchte nicht lange um festzustellen, dass es sich um einen harmlosen „Naevus coeruleus“ handelte. Das alles bei 120 km/h auf dem Heimweg. So wenig wie ich mit Medizin zu tun habe, so schnell wurde ich zum Assistenzarzt. Lisa erzaehlte mir ihre Medizin-Geschichten auf deutsch, die ich dem Chiloten auf spanisch uebersetzte, der wiederum erzaehlte mir seine Sache, die ich der Lisa auf deutsch uebersetzte. Die Diagnose war ja schon gefaellt worden, jetzt musste also noch die Ueberweisung an den entsprechenden Facharzt erteilt werden. Der Chilote schlug vor, am naechsten Tag zu unserer Unterkunft zu kommen, damit die Lisa ihm Entsprechendes ausstellen koennte. Das war aber ja nicht noetig, weil alles schon gesagt worden war. Assistenzarzt Ulmer packte also seinen kleinen Blog (Achtung Wortspiel!) aus und Oberaerztin Lisa gab nochmal den Fall durch und ihr kleines Handy-, I-Pod- was auch immer -Geraet half, die Diagnose zu uebersetzen. Der Chilote sollte zum Dermatologen gehen, da wuerde (ist das so grammatikalisch richtig auf deutsche Sprache, schwere Sprache??) ihm geholfen, dass hatten wir ja schon ruebergebracht. Er wollte das jedoch noch schriftlich haben. So hab ich illegalerweise (mit meiner nicht ganz passenden beruflichen Bildung) noch die Ueberweisung zum Facharzt fertig gemacht. Unterschrieben allerdings nicht, hahaha.
Adele aus Ancud: Es ist dunkel, Zeit zum Schlafen gehen, keine Ahnung wie das Wetter in diesem Moment ist. Aber seit einer Woche auf Chiloé hat es jeden Tag, ausser heute, Sonne gegeben, um die 20 Grad.