Besuch soziales Projekt in Bogotá (Nachtrag)
17 07 2012Nachtrag aus April:
Meine ehemalige Grundschulkameradin Friederike und ihr Mann Patrick arbeiten in Bogotá in sozialen Projekten. Ich hatte die Gelegenheit, mit Patrick einen Tag mit ins Projekt zu gehen, im Stadtviertel “Rincon del lago” (uebersetzt ungefaehr See-Eck). In diesem Viertel stranden viele der in anderen Gegenden Kolumbien´s vertriebenen Menschen/Familien. In Kolumbien ist dies eines der groesseren Probleme: Menschen/Familien werden von verschiedenen bewaffneten Gruppen/Banden/Bandenbossen bedroht, unter Druck gesetzt, von ihrem Land vertrieben. Auf der Suche nach neuem Glueck und neuem Leben kommen sie in die Hauptstadt Bogotá und landen in Vierteln wie “Rincon del lago”. Abgesehen von der Problematik, dass sie dort ihr taeglich Brot verdienen muessen, landen sie dort auch an einem Ort, wo Gewalt zum taeglichen Leben gehoert. Banden, Banditos, Paramilitaers, andere bewaffnete Gruppen “regieren” hier. Zudem fehlt es an angemessener Trinkwasserversorgung, Zugang zum Gesundheitssystem, Bildung sowie angemessenem Wohnraum und Erholungsmöglichkeiten. Das Projekt “Creciendo juntos” (siehe auch die fachgerechte Erklaerung des Projektes: www.creciendo-juntos.org ) ist dort in einer Art Jugendhaus taeglich Aufenthaltsort und Anlaufstelle (Workshops, Spiele, Internet, Bibliothek, psychologische Betreuung und Schulung…) fuer die Kinder, Jugendlichen und deren Familien des Viertels.
Wer Interesse hat, dieses Projekt finanziell mittels einer Spende zu unterstuetzen, kann sich gerne bei mir melden (per Mail oder anderen einschlaegige modernen Kommunikationsmitteln; fuer alle, die meinen persoenlichen Kontakt nicht haben, aber den Blog lesen, koennen eine Nachricht im Gaestebuch hinterlassen, wo ja die Mailadresse abgefragt wird, welche nachher nicht im Gaestebuch online erscheint, sondern nur fuer mich ersichtlich ist).
Wie auch letztes Jahr zum ersten Mal soll dieses Jahr eine Freizeit fuer die Frauen des Viertels stattfinden. 2-3 Tage wird die Gruppe hierbei einen Ausflug machen und am Aufenthaltsort Workshops bearbeiten, welche unter dem Gesamt-Motto des Camps “Konfliktverhalten/-bewaeltigung” stehen. Von der Freizeit kann ich Euch auf Anfrage eine allgemeine Beschreibung sowie eine Agenda zur Verfuegung stellen, wo Ihr sehen koennt, was dort im Detail stattfinden wird. Eure Spende kann z.B. direkt fuer diese Freizeit vorgesehen werden. Dann wisst Ihr genau, wo das Geld ankommt. Oder Ihr spendet fuer die Arbeit des Projektes im Viertel, wobei Ihr auch wisst, wo das Geld hingeht. Animiert Euch! Ein Rausch weniger und Ihr koennt Bisle Geld fuer eine gute Sache spenden…und schont dabei noch Eure Gesundheit!
Im Folgenden mein Besuchsbericht beim “Tag des Kindes” in gewohntem ulmiblog-Stil. Nicht immer so ganz ernst zu nehmen, auch wenn die Ernsthaftigkeit des Projektes bestehen bleibt. Und ich danke Patrick, den Leuten vom Projekt und den Bewohnern vor Ort fuer die Offenheit und dass mir ermoeglicht wurde, so etwas kennenzulernen. Diese Erlebnisse machen eine interessante Reise aus, erlebt man nicht alle Tage und vor allem sind weit ab vom “normalen” Tourismus.
Morgens frueh gegen 7 Uhr nehmen wir im Zentrum Bogotá´s den Stadtbus. Die Fahrt per Stadtbus dauert normalerweise 1,5 Stunden, durch den chaotischen Verkehr der Stadt. Die Stadtbusse halten immer wieder an Ecken an und reden kurz mit Typen die draussen stehen. Hatte mich schon immer gefragt, was es mit denen auf sich hat. Die sog. “Calibradores” sind dazu da, den Fahrern Informationen ueber den Busverkehr auf ihrer Linie zu geben. Also auch, was die Konkurrenz macht. Ziel ist, dass die Busse mit moeglichst vielen zahlenden Gaesten unterwegs sind und so wird die Reisegeschwindigkeit zur wichtigen Taktik.
Angekommen im Viertel “Rincon del lago” erzaehlt Patrick mir die ein oder andere Gegebenheit oder Vorkommnis aus dem Viertel.
Im Viertel sind die Haeuser/Huetten wild hingebaut worden, teils in den Hang rein. Aufgestuetzt teils auf Holzstelzen, was nicht gerade vertrauensweckend daherkommt. Patrick zeigt mir auch sein “Lieblingshaus”. Die Landschaft ist hier so, als ob man in einem Naherholungsort ausserhalb der Stadt waere. Wiesen, Berge, der See (welcher heute eine Gloake ist). Tatsaechlich war der See vor Jahren auch ein Wochenendziel fuer die Stadtbewohner. Man erkennt hier, was in vielen suedamerikanischen Staedten passiert. Sie wachsen und wachsen – und das oft unkontrolliert und wild – in ihre Peripherien. Ansonsten wuerde man auf den ersten Blick als Aussenstehender nicht unbedingt erkennen, dass hier Gewaltstrukturen (vor-)herrschen. Scheinbar normales Treiben auf der Strasse. Wichtig zu erwaehnen ist, dass es sich bei so einem Viertel nicht um ein Viertel handelt, in dem extreme Armut im Sinne von hungernden und unterernaehrten Menschen herrscht. Die Menschen sind zwar arm und kaempfen um´s Ueberleben, jedoch ist Unterernaehrung hier nicht das Hauptproblem, sondern die Gewaltstrukturen von Banden, Banditen, Paramilitaers,…die in Wirklichkeit im Viertel regieren. Polizeipraesenz ist hier nicht zu sehen…
Wir sind etwas frueher da, weil an diesem Samstag der Bus deutlich schneller unterwegs war. Im Restaurant des Viertels haben wir also bei einer Arepa und einem Kaffee noch Zeit, mit dem Eignerehepaar ein Schwaetzle zu halten. Sie wollen demnaechst ein paar Tage in den Sueden des Landes reisen, um endlich auch mal was von ihrem Land zu sehen.
Zur angekuendigten Uhrzeit ist noch keiner da, inklusive der Chefin des Projektes. Aber kein Grund zur Beunruhigung, wir sind ja in Lateinamerika.
Nach und nach kommen die Kinder/Jugendlichen an und man versammelt sich, um auf eine kleine Wiese zu laufen. Dort trifft man sich mit anderen Gruppen, um den “Tag des Kindes” zu veranstalten. Auf dem Weg dorthin fragt mich ein kleiner Junge der Gruppe ueber meine Franzoesischkenntnisse aus. Er ueberrascht mich mit seinem Interesse an der Sprache eines Landes, das so weit weg ist. Sein Paradestueck: “Bonjour monsieur, foie gras!” (“Guten Tag, Gaense-/Entenleber”).
Ausserdem waren 3, 4 junge Kolumbianerinnen unisono mit einblickspendenden Ausschnitten (O-Ton meines Begleiters: “Heute ist wohl Ausschnittschau angesagt”) angekommen. Da ich als Neuling bei der Warterei noch nicht soviele Gespraechspartner hatte denke ich mir schon, hoeflichkeitshalber mal die Maedels anzuquatschen, z.B. so: “Macht Ihr heute mit Euren Kindern beim Tag des Kindes mit?”. War aber besser, nix zu sagen. Es stellt sich dann naemlich heraus, dass das die Studentinnen waren, die gerade ihr Praktikum hier machen.
Auf der Wiese sind auch ein paar Damen fortgeschrittenen Alters. Sie sind recht animiert und fangen an, mit mir zu bloedeln und meinen, ich sei ja von so grosser Statur, da koennte ich spaeter fuer die Kinder die Geschenke aus dem hochgehaltenen Karton kippen.
Ein Animator kommt, der ab dann die Kinder motiviert und unterhaelt. Es werden Gruppen gebildet und Spiele gegeneinander gespielt. Ich hatte ja bereits erwaehnt, dass ich nicht Typ “Animateur” bin und auch im Umgang mit Kindern nicht grade geuebt. Das ging in der Theorie auch in Ordnung. Die Praxis sieht aber anders aus: Da die Sonne schon brutzelt und droht die Mitteleuropaer-Haut zu verbrennen, suche ich mir am Rande der Wiese einen Baum zum Unterstehen. Derweil formieren sich die Gruppen und der Animator droht schon mit Sanktionen fuer diejenigen, die nicht mitmachen wuerden. Ein paar Kids entdecken mich schnell und ich werde beim Animator verpfiffen. Ein-, zweimal reicht ein dankendes Abwinken noch aus, doch dann kommen 3, 4 der Luemmel und ziehen mich persoenlich zu ihrer Gruppe. Also gut. Kurz spaeter dann das Spiel, dass mit persoenlichen Gegenstaenden (Klamotten, Regenschirme, Taschen, etc.) der Teilnehmer pro Gruppe ein moeglichst hoher Berg gebaut werden soll. Ruck zuck haben sich 2 der Jungs oben entbloest und ich denke mir, das macht dann gleich eh jeder der Herren der Schoepfung. Flugs mein T-Shirt runtergerissen und da steh ich also. Ein Blick in die Runde zeigt, dass ich mich getaeuscht hatte und es bei den eifrigen beiden Jungs geblieben ist und ich eben nur der dritte oben ohne war. Wenig spaeter bringt mir das wenigstens ein ins Mikro vorgetragenes Sonderlob vom Animator ein.
Weitere Spiele, die Disziplin der Jungs laesst nach starkem Beginn stark nach. Ansonsten sind die Kids aufgeweckte, motivierte, offene, begeisterungsfaehige und angenehme Zeitgenossen, auch wenn man ihnen ab und an die schwierigen Verhaeltnisse, in denen sie leben, anmerkt. Es droht dann, zu regnen und so wird flugs das Programm durchgezogen. Die Begeisterung der Kinder steigt nochmal stark an, als die Geschenke verteilt werden. Ich kann mich noch mit der ein oder anderen Person unterhalten und gemeinsam laufen wir wieder ins Viertel zurueck. Dort wird mit den Offiziellen noch im Restaurant gegessen.
Nach dem Mittagessen und der Kaffeeeinladung von irgendjemand gibt´s im “Jugendhaus” noch Workshops, aufgeteilt in die Juengeren und die Jugendlichen. Ich bin bei den Jugendlichen dabei und kann auch mitmachen im Workshop, in dem es um die Einteilung der Personen in verschiedene Charaktertypen geht. In einer Art Fragebogen urteilt man ueber sich selbst anhand von Persoenlichkeits-Adjektiven, z.B. zielstrebig, offen, verantwortungsbewusst, kontaktfreudig,… Fuer mich kommt Charaktertyp “Choleriker” raus.
Adele aus Fortaleza, Brasil: Immer um die 30 Grad, immer nette, kuehlende Brise. Nachts jedoch zu warm, um gut zu schlafen. Ab und an Regen. Wir sind im hiesigen Winter. Das Bisle Abkuehlen nachts ist fuer die Einheimischen “kalt”.