Nachträge

Sodele, nun – da ich mich wieder in europäischen Graden bewege – kann man von Nachträgen reden.

Diese Rubrik ist entstanden, um als Nachträge vor allem von Situationen der Reise zu berichten, die während der Reise bei den Daheimgebliebenen für Unruhe und unnötigen Ängsten geführt hätten.

Ich war ja losgereist mit dem Bewusstsein, in einen vermeintlich gefährlichen Kontinent zu reisen. Ich war dort zuvor noch nicht gewesen und daher stellte ich mich darauf ein, dass ich wohl auch mal überfallen werden würde. Jetzt kommt’s aber: ca. 28,5 Monate Südamerika und es kam nicht vor. Zum Einen, weil ich gut auf mich aufgepasst habe und gewisse Grundregeln gelernt habe, die ich dann auch (fast) immer anwendete. Zum Anderen natürlich, weil ich auch Glück hatte. Sieht man die immense Dauer meiner Reise kann ich sogar von viel Glück sprechen.

Seit mein Rucksack verloren ging und als ich dann tatsächlich unversehrt (auch ohne Unfall) wieder ins gelobte Ländle zurückkam sehe ich das so: Ich habe meinen Rucksack für mein Leben gesetzt. Ich hatte Pech, ihn zu verlieren, aber das Glück ohne einen Kratzer wieder nach Hause zu kommen.

An dieser Stelle muss ich dann auch mal eine Lanze für die meisten Südamerikaner brechen: Es ist nicht so, dass man dort auf überwiegend böse, kriminell veranlagte Menschen trifft, die einen versuchen abzuzocken, zu beklauen oder auszurauben. Und bei vielen, die es machen, ist es auch so, dass es dafür einen guten Grund gibt, z.B. Armut. Gehen wir einfach mal davon aus, dass unter 1000 Latinos, die irgendwo beispielsweise an einem Platz stehen, zu einem gleichen Anteil anständige Menschen sind, wie bei uns. Und die Unanständigen sind eventuell auf eine etwas anders gelagerte Art und Weise unanständig oder betrügerisch. Alle reden vom kleinen paraguayanischen Polizisten, der mal ein kleines Trinkgeld annimmt (ich verteidige hier nicht die Korruption: ich bin dagegen und unterstütze das nicht, auch wenn ich dadurch Nachteile in Kauf nehme). Wie böse und kriminell der doch ist. Und was passiert in unserer Wirtschaft oder bei öffentlichen Ausschreibungen von Projekten. Was passiert eigentlich wirklich bei den sogenannten Lobbyisten (ich gebs zu, ich musste erstmal nachschauen, wie man dieses Wort schreibt) in unserem Land? Lügen und Tricksen wir nicht selbst sogar, wenn wir immer „im Namen des Projektes“ das beste für unsere Firma rausholen wollen? Oder mal bei der Steuererklärung „großzügig“ aufgerundet? Der Nordamerikaner nennt das „extended truth“ (erweiterte Wahrheit). Ich glaube, Ihr wisst, was ich meine…

Zurück zum Thema! Weiter kann ich berichten, mich während meiner Reise auch nie unsicher gefühlt zu haben. Da wurde mir bei meiner Interrail-Tour 2003 schon etwas mulmiger, als ich im nächtlichen Sevilla eine Abkürzung nahm und 2 illustre Personen meinen Weg kreuzten. Ich dachte: „Jetzt bist du fällig!“

Es gab eine Situation im berüchtigten São Paulo in Brasilien. Wir informierten uns über den Weg, nahmen angesagte Straße und sahen uns kurz später an einer Kreuzung, wo an allen Seiten offenbar drogenkonsumierende Personen hockten, lagen, standen, uns hinterher stänkerten. Einige Monate später, bei meinem letzten Aufenthalt in Brasilien sah ich in den Nachrichten einen Bericht über das sogenannte Cracolândia (Crack-Land), ein Gebiet im Zentrum von São Paulo mit erhöhter Drogenkonzentration, um es mal so zu formulieren. Besagte Situation ereignete sich mitten am Tag, die Straßen-Situation war zu allen Seiten offen. Außerdem habe ich schnelle Beine. Ich fühlte mich deswegen nicht unsicher, war mir aber bewusst, hier bestimmt keinen Small-Talk halten zu müssen oder nach dem Weg zu fragen.

Zweite Situation ereignete sich auf einer Bus-Nachtfahrt in Venezuela als ich plötzlich geweckt wurde. Irgendwann zwischen 3.30 Uhr und 4 Uhr morgens. Auf mir drauf und im Durchgang lagen Glassplitter. Das Dachfenster direkt über mir war zerstört. Ich hatte zuvor schon gehört, dass gewalttätige Leute in Venezuela zur damaligen Zeit häufig Busse mit Steinen bombardierten. Letztendlich geht dieses Ereignis wohl als die gefährlichste Situation in meine Reisegeschichte ein. Anmerkung: Im Morgengrauen kletterte bei einem Halt einer vom Buspersonal über das Dach der Raststätte auf das Dach des Busses. Notdürftig klebte er mit Klebeband einen Pappdeckel über das Loch. Es hielt keine 5 Kilometer und flog davon…

Im dämmernden, bolivianischen Dschungel kollidierte ein vorbeifliegender Vogel gegen meinen Kopf. Beide kamen wir mit dem Schrecken davon.

Ich kann also behaupten, dass ich auf meiner Reise Glück hatte, denn mehr gibt’s an gefährlichen Situationen nicht zu berichten.

Die größere Gefahr für Leib und Leben ist in Lateinamerika übrigens der Verkehr und nicht wie fälschlicherweise angenommen die Kriminalität.

Was einem unterwegs auch noch gerne begegnet sind Dinge rund um das Thema Drogen:

– Drogen-Geschichten von Leuten, denen man es scheinbar nicht ansehen würde.

– Personen, die am Carnaval auf einmal auf helllichter Straße ein Bischen Kokain zu sich nehmen.

– In einem Küsten- und Surfer-Dorf in Perú hat mir der Besitzer im Wohnzimmer mal locker flockig einen Klotz Kokain zugeworfen: „Hier kuck mal, hab ich in der Stadt gekauft, gutes Zeug und das zu einem gutem Preis!“ (er hat mir auch den Preis genannt)

– Leute, die im Dschungel mal eine alte Medizin der Schamanen von anno dazumal ausprobieren wollen. Damals, z.B. zur Inka-Zeit, (und auch heute noch) war es tatsächlich vom Schamanen des Stammes als eine Art Medizin eingesetzt worden. Was wohl nix daran änderte, dass Menschen dadurch in eine Art Rausch-Zustand versetzt wurden, vor allem der Schamane selbst, zur Diagnose- und Behandlungsfindung. Außerdem war und ist das Begeben in einen solchen Trance-Zustand mit der damit verbundenen Reise in andere Welten auch heute noch Sinn und Zweck von spirituellen/religiösen Veranstaltungen in den Völkern, bei denen dieses Zeug Bestandteil der Kultur zu sein scheint. Für die Rucksacktouristen ist das heute wohl eher ein Hype um eine „tolle“ Erfahrung, die man auf seiner Reise mal nebenher mitnehmen kann. Man geht dazu irgendwo in die Pampa, sozusagen zu einem Schamanen seines Vertrauens, der dann eine Gruppe experimentierfreudiger Rucksacktouristen in einer sogenannten Sitzung mit auf den Tripp nimmt. Berichten zu Folge erlebt man dann komische, nicht reale Dinge, Halluzinationen. Die überwiegende Mehrheit der Konsumenten übergibt sich. Außerdem soll es süchtig machen und kann während der „Reise“ psychisch ganz schön belastend (Horrortrip, Angst) sein. Also am besten Finger weg!!! Ich habe selbstverständlich nicht mit gemacht. Da kauf ich mir lieber ein Nullachtfuffzehn Büchsen-Bier.

Das Zeug heißt Ayahuasca und wird dem offensichtlich westlichen Touristen gerne auch mal auf Märkten durch ein säuselndes „Ayahuasca?“ feil geboten. Dies sagt schon viel über die Gründe aus, warum manche Touris scheinbar auf Märkte gehen… Manche Reiseziele werden sogar mit Drogen- und auch Sextourismus in Verbindung gebracht.

Man glaubt nicht, wie präsent und normal der Konsum von solchen Dingen tatsächlich ist. Ich hatte eine schöne, zufriedene Kindheit in einer gemütlichen schwäbischen Stadt und in über 30 Jahren nicht einmal über 20 Ecken von Kokain gehört.

Bleibt noch anzumerken, dass mir als Segler die Idee durch den Kopf ging, Kap Hoorn zu umsegeln. Und zwar nicht mit einer Tour, sondern im Prinzip „Hand gegen Koje“ mit einer Privatperson, die ich unterwegs ausfindig machen wollte. Das berüchtigte Kap Hoorn wird gerne auch als „größter Schiffsfriedhof“ der Welt bezeichnet und die Meere um die Breitengrade der „furious fifties“ (rasende/furiose Fünfziger) gelten als mit die wildesten und gefährlichsten auf den Meeren. Es hätte sich folglich um ein nicht ungefährliches Unternehmen gehandelt. Um die Pferde nicht scheu zu machen behielt ich diesen Plan daher geheim und unter „Nachträge“ vorgemerkt für mich. Nur zwei weitere Personen wussten zum Zeitpunkt der Abreise davon.

Vor allem deswegen hielt ich mich in der südlichsten Stadt Argentiniens eine gute Woche auf (ohne nicht einmal den nahen Nationalpark zu besuchen): In Ushuaia starten viele der privaten wie auch kommerziellen Segel-, Kreuzfahrt- und sonstigen Schiffe für Kap Hoorn-Umrundungen, Antarktistouren oder sonstige Törns. Täglich lungerte ich daher an den beiden Häfen in Ushuaia rum. Dabei fragte ich Segler und Leute nach etwaigen Mitsegelgelegenheiten, der Hafenmeister wusste außerdem Bescheid und hängte eine Anzeige von mir in den Schaukasten. Es ergaben sich jedoch nur Möglichkeiten, auf kommerziellen Seglern für teures Geld (ca. 200 EUR pro Reisetag) mitzusegeln. Diese Variante kam für mich aus zwei Gründen nicht in Frage: Zu teuer und nicht individuell genug. Das chilenische Puerto Williams, noch etwas südlicher und außerdem östlicher als Ushuaia, ist gar noch besser gelegen, um per Schiff zum Kap Hoorn aufzubrechen. Auch dort besuchte ich den Hafen und schaute mich um. Der Hauptsteg des Hafens hatte als Mittelpunkt und Tragelement ein umgebautes Schiff, in das neben den Hafenanlagen (Sanitärräume, etc.) auch eine recht berüchtigte Seefahrerkneipe eingebaut wurde. Als netter Nebeneffekt zu meiner Suche verbrachte ich dort in Begleitung einer US-Amerikanerin und einer Chilenin zwischen Seglern, Seemannsgarn und stickiger Luft bei ein paar Bier und Gläsern Wein einen netten Abend. Auch in Puerto Williams ergab sich keine Mitsegelgelegenheit.

Dieser Abend und meine Saufabende mit meinem verrückten italienischen Reise-Kumpel Gianpa in Ushuaia waren den Aufenthalt in Ushuaia und Puerto Williams allerdings allemal wert.

Soweit meine Nachträge. Fällt mir noch was ein gibts „Nachtrag zu den Nachträgen“.